-George Santayana
Es war wirklich nicht leicht für mich diesen Blogeintrag zu schreiben. Es ist nicht einfach die Gefühle, die ich während meines Besuchs der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau hatte, in Wort zu packen und es hat sehr lange gedauert überhaupt Worte zu finden. Selbst jetzt, drei Wochen später, rollen Tränen über meine Wangen während ich diesen Blogeintrag schreibe. Keine Worte können die Grausamkeit beschreiben, die sich in Auschwitz-Birkenau und an anderen ähnlichen Orten stattgefunden hat. Umso wichtiger ist es darüber zu reden. Es ist notwendig weiter zu erinnern. Es ist wichtig nicht zu vergessen, denn wenn wir vergessen wird es erneut passieren.
Vor drei Wochen habe ich die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau besucht. Ich war froh, es gemeinsam mit Benedikt (ein anderer Schuman Freiwilliger, auch aus Deutschland) und nicht allein zu machen. Auch, wenn wir während des gesamten Aufenthalts nicht viel gesprochen haben, so war es doch gut, sich der Möglichkeit gewiss zu sein. Wir hatten eine sechsstündige Tour gebucht. Am Samstag der Schlesien-Woche ging es für uns früh am Morgen los. Wir nahmen den Bus nach Katowice und von da aus den Zug nach Oświęcim. Als wir dort ankamen hatte ich ein seltsames Gefühl. Eine bedrohliche komische Stille erfüllte diesen Ort. Oświęcim ist eine Stadt mit um die 40 tausend Einwohnern, Geschäften, Schulen und öffentlichem Personennahverkehr und doch ist diese Stadt alles andere als normal. Man kann nicht leugnen, dass dieser Ort durch und durch von Geschichte und einem eigenartigem, verheerendem Gefühl durchdrungen ist. Es fühlt sich wie die Ruhe vor dem Sturm an – mit dem Unterschied, dass der Sturm in der Vergangenheit liegt.
Ich dachte, dass der Weg vom Bahnhof hin zur Gedenkstätte klar gekennzeichnet sein müsste. Ich dachte, dass viele Menschen mit uns gemeinsam den Weg gehen würden. Überraschender Weise nahmen wir einen gewöhnlichen Bus und waren die Einzigen, die sich von der Haltestelle auf den Weg machten – was wiederum das eigenartige Gefühl verstärkte. Jedoch als wir ankamen, sahen wir eine Menge Autos und Reisebusse, sowie Menschen, die sich anstellten. Dank unseren Tour-tickets mussten wir allerdings nicht sehr lange anstehen. Wir passierten den Sicherheitscheck, der dem an einem Flughafen ähnelt und bekamen Kopfhörer und Sticker, welche uns als Teil der deutschsprachigen Tour kennzeichneten.
Unsere Tour startete im Stammlager Auschwitz I. Der berühmte Satz „Arbeit macht frei“ über dem Eingang. So oft hatte ich diesen Schriftzug in Filmen, Serien oder auf Bildern gesehen – merkwürdig ihn nun in echt vor sich zu haben.
Auschwitz war anders als ich erwartet hatte, keinesfalls weniger schrecklich, aber irgendwie anders. Wir besuchten mehrere der Backsteinbarracken, welche heutzutage Ausstellungsorte sind.
Fotos von Gefangenen – am Anfang wurden noch alle Gefangenen, die nach Auschwitz kamen registriert und fotografiert
“DAS BUCH DER NAMEN – Die Namen von den Ermordeten stehen in diesem Buch als ewige Erinnerung.”
Oftmals war es eine Tour nach der anderen und die Menschen stauten sich in den Räumen und vor den Exponaten – Touristen. Ein merkwürdiges Gefühl. Es fühlt sich irgendwie nicht richtig an. So als ob Auschwitz eine Sehenswürdigkeit wäre wie der Eifelturm oder der schiefe Turm von Pisa. Die Menschen posieren an Orten, an denen Menschen misshandelt und ermordet wurden, machen Fotos und gehen weiter, folgen dem Strom aus Reisegruppen. Auf der anderen Seite unterstütze ich es sehr, dass so viele Menschen nach Auschwitz und andere Konzentrationslager fahren. Es ist unglaublich wichtig an die Geschichte zu erinnern und kein Film kann das Gefühl ersetzen, an diesem Ort zu sein, in dem so viel unbeschreiblich grauenvolles, grausames und menschenverachtendes passiert ist. Ich selber hatte mich dafür entschieden ebenfalls meine Kamera mitzunehmen und habe auch fotografiert. Allerdings um zu berichten und zu erinnern.
Aufgrund der hohen Besucherzahl und der Größe der Gedenkstätte, hatten wir einen relativ strickten Zeitplan. Oft wünschte ich mir mehr Zeit zu haben, um mit all den Eindrücken und Informationen besser zurechtzukommen. Allerdings brauchten wir auch mit striktem Zeitplan insgesamt sechs Stunden und um ehrlich zu sein ist mehr einfach nicht möglich – weder physisch noch psychisch. Der ganze Besuch war sehr belastend. Meine Gefühle lassen sich nur schwer beschreiben: Wut, Trauer, Hilflosigkeit, Schmerz, Schock, Verzweiflung und so Vieles mehr.
Es ist ein großer Unterschied zu wissen, was in Auschwitz-Birkenau geschehen ist und auf der anderen Seite dieselben Flure entlang zu laufen, auf denen so viele misshandelte Menschen liefen, in die Räume zu sehen, in denen sie zu unwürdigen Bedingungen gedrängt schlafen mussten oder dem Stacheldrahtzaun so nah zu sein. Kein Film kann jemals das Gefühl beschreiben, durch einen langen Flur mit deckenhohen Vitrinen an beiden Seiten, voll mit menschlichen Haaren. Haare von Menschen, die einem der schlimmsten Verbrechen der Geschichte zum Opfer gefallen sind. Kein Film, kein Wort kann je das Gefühl beschreiben in einer ehemaligen Gaskammer zu stehen.
Nachdem wir unsere Tour in Auschwitz I beendet hatten, gab e seine halbstündige Pause und anschließend nahmen wir den Shuttlebus nach Birkenau. Birkenau liegt in etwa 3 km von Auschwitz entfernt und bildet den größten Teil des Lagers Auschwitz. Hier errichteten die Nazis ihre die größte Massenvernichtungsanlage, in der 1 Millionen Menschen ermordet wurden. (Quelle: https://auschwitz.org/en/history/auschwitz-ii/)
Als wir durch den Eingang gelaufen waren, lag eine enorm große, weite Fläche vor uns. Es war windig und zugig, da die meisten Holzbarraken nicht mehr existieren und das Einzige was noch von ihnen übrig ist, sind die Schornsteine. Einsame Schornsteine in einem Feld voller einsamer Schornsteine.
Vereinzelt wurden Holzbarracken nachgebaut, um die einstigen Umstände zu zeigen. Es ist einfach nur furchtbar, wie Menschen unter grausamsten Bedingungen in den Baracken eingepfercht wurden. Mehr als 400 Menschen schließen in einer Holzbarracke, die ursprünglich für 51 Pferde gedacht war.
Zehn Personen mussten auf einer Pritsche mit gerademal 4 Meter Breite schlafen. Alles war verdreckt mit Fäkalien und Ungeziefer.
Im Sommer war es extrem heiß und stickig, denn es war nicht gestattet, die Türen zu öffnen und durch die schmalen Belüftungsschlitze ließen viel zu wenig Sauerstoff hinein. Im Winter war es erbarmungslos kalt und perfide wie die Nazis waren, hatten die Holzbarracken zwar Schornsteine und Öfen zum Heizen, doch sie wurden kaum benutzt. Nur falls die Gefangenen illegale Tauschmittel beschaffen konnten, gab es die Möglichkeit an Brennmaterial zu gelangen und zu heizen. Viele Menschen starben aufgrund der unmenschlichen Lebens- und Hygienebedingen.
Jeden Morgen und Abend wurden Gruppen von 200 Menschen gezwungen ihre Notdurft gleichzeitig zu verrichten, viele von ihnen litten unter Hungerdurchfall. Es war den Gefangenen nicht erlaubt während des Tages auf Toilette zu gehen, nur einmal am Morgen und einmal am Abend, stets gehetzt durch die Wärter. Grausame Behandlung, keine Privatsphäre und keine Hygiene.
Nachdem wir in den Holzbarracken waren, gingen wir auf der Rampe entlang. Es war ein seltsames Gefühl neben den Schienen zu laufen, welche so viele Menschen in den Tod führten. Es war gruselig am exakt gleichen Ort zu stehen, wo Menschen selektiert und Entscheidungen zwischen Tod und Leben in Sekunden getroffen wurden. Nur ca. 25% der Menschen wurden als arbeitsfähig befunden und mussten für die Nazis schwere Zwangsarbeit leisten. Doch der Großteil, 75% der Angekommenen, wurde direkt in die Gaskammer geschickt. Wir liefen denselben Weg entlang, auf dem auch diese Menschen gingen, ohne zu wissen, dass am Ende des Weges der Tod auf sie wartete. Es gibt keine Worte die dieses Gefühl beschreiben.
Die ehemaligen Krematorien wurden weitestgehend durch die SS zerstört, um jegliche Beweise an ihre Gräueltaten zu vernichten, als klar war, dass sie den Krieg verlieren würden.
Ein Krematorium wurde jedoch auch von den Häftlingen selbst zerstört. Am 7.10.1944 gab es einen Aufstand des Sonderkommandos (Häftlinge, die in den Krematorien arbeiten mussten) mit dem Ziel möglichst viel des Lagers zu zerstören. Sie schafften es ein Krematorium zu zerstören und ein weiteres zu beschädigen. Das zerstörte Krematorium wurde nie wieder aufgebaut. Heutzutage kann man so nur noch die Ruinen der Krematorien sehen. (Quelle: Carolin Ströbele: Der vergessene Aufstand, 2007 unter https://www.tagesschau.de/inland/meldung201918.html)
Zwischen den Krematorien 2 und 3 wurde ein Denkmal für all die Menschen errichtet, die in Auschwitz-Birkenau ums Leben gekommen sind.
“Dieser Ort sei Allezeit ein Aufschrei der Verzweiflung und Mahnung an die Menschheit. Hier ermordeten die Nazis etwa anderthalb Millionen Männer, Frauen und Kinder. Die meisten waren Juden aus verschiedenen Ländern Europas. Auschwitz-Birkenau 1940-1945” – Inschrift auf Gedenktafel
Als wir den Weg zu den Krematorien entlang gingen, konnten wir den Ort sehen, wo Mengele eine eigene Baracke für seine grausamen, perversen, ungeheuerlichen Experimente hatte.
Josef Mengele war ein Arzt in Auschwitz-Birkenau. Er experimentierte unter anderem mit Zwillingen, um seine Vererbungstheorien zu prüfen. Zum Beispiel führte er dabei Chirurgische Eingriffe ohne jegliche Narkose durch, um die Schmerzempfindlichkeit von Zwillingen zu testen oder injizierte lebensgefährliche Krankheitserreger, um deren Auswirkung zu beobachten. Er behandelte Menschen wie Versuchsobjekte und fügte ihnen mit Gefallen Schmerzen zu. Die Mehrheit der Menschen, welche er für seine grausamen Experimente benutzte starb dabei. Bevor die Rote Armee in Auschwitz ankam floh Mengele. Er arbeitete unter falschem Namen und ging später nach Südamerika. Allerdings reiste er mehrfach nach Europa zurück und wurde doch nie gefangen genommen. Ein Grund war sicherlich die schlechte internationale Kommunikation und Zusammenarbeit, sowie der Fokus auf andere Nazi-Verbrecher wie Adolf Eichmann. Auf der anderen Seite war wohl der größte Fehler, die unzureichende Aufarbeitung der Vergangenheit in der deutschen Gesellschaft in den Jahren nach dem Krieg. Eine Menge früherer Nazis behielten ihre hohen Posten, wie zum Beispiel Richter oder Anwälte, welche kein Interesse daran hatten Mengele strafrechtlich zu verfolgen. Eine große Ausnahme bildete Fritz Bauer, welcher mit wenigen anderen Anwälten gemeinsam viel versuchte, um Nazi-Verbrecher vor Gericht zu bringen. Leider wurde Mengele trotz der vielen Hinweise und Chancen nie gefasst. Ich werde nie verstehen, wie es möglich war, dass er bis an sein Lebensende sein Leben als freier Mann verbrachte und sich nie vor Gericht verantworten musste für seine abscheulichen, menschenverachtenden Taten.
Nach ihrer Ankunft mussten die Menschen ihre mitgebrachten Dinge auf der Rampe lassen. Diese wurden später eingesammelt und sortiert. Was als gut befunden wurde, schickten die Nazis in Reich. Der Rest wurde in einem Teil des Lagers mit dem Namen „Kanada“ aufbewahrt. Bis zu 30 Barracken gefüllt mit Anziehsachen, Geschirr, Brillen, Schuhen und Koffern.
All diese alltäglichen Dinge unterstreichen, dass die Menschen wirklich daran glaubten, dass sie irgendwo anders ein neues Leben starten würden, dass sie weiterleben würden.
Die Nazis verbrannten „Kanada” am Ende des Krieges, um jegliche Beweise zu zerstören.
Neben „Kanada” befindet sich ein Backsteingebäude, welches “Sauna” genannt wurde. An diesem Ort mussten sich die Ankömmlinge auskleiden, ihnen wurden die Haare abgeschnitten, sie wurden untersucht und selektiert. Außerdem war die „Sauna“ dazu da, um die Kleidung zu reinigen und zu desinfizieren.
Heutzutage gibt e seine Ausstellung mit Fotos auf denen die Freunde, Verwandten und Geliebten der Häftlinge zu sehen sind und welche diese bei sich trugen. So viele Gesichter…die niemals ihre geliebten Menschen wiedergesehen haben.
Nachdem unsere Tour zu Ende war, gingen Benedikt und ich noch durch den Teil des Vernichtungslagers, welcher das Frauenlager bildete. Hier stehen noch mehr Gebäude, da diese mit Backstein gebaut wurden und nicht aus Holz. Nichtsdestotrotz hat die Zeit ihre Spuren hinterlassen und ein Großteil der Gebäude braucht hölzerne Stützen.
Es erinnerte mich daran, wie wichtig es ist, sich um die Erhaltung der Gedenkstätte zu kümmern und an das Thema zu erinnern. Mit der Zeit werden mehr und mehr Zeitzeugen sterben, Gebäude werden zusammenbrechen und die Erinnerung wird verblassen, wenn wir sie nicht wach halten. Filme, Dokumentationen, Fotos und Interviews sind sehr wichtig dafür, jedoch, wie ich schon sagte, macht es einen Unterschied, ob man sich all diese Medien ansieht oder ob man in einem ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslager ist. Es wäre sehr gut, wenn mehr Schulen Gedenkstätten wie die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau besuchen würden oder, solange dies noch möglich ist, Zeitzeugen einladen. Es liegt in unserer Hand und wir sind alle dafür verantwortlich die Erinnerung wach zu halten an diese Grausamkeiten, denn „wer sich nicht an die Vergangenheit erinnert, läuft Gefahr sie zu wiederholen“ (George Santayana)!